Homöopathie und ihre Anwendung


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Zur Philosophie der Homöopathie

Dr. med. Ernst Trebin, Bamberg

Dr. med. Ernst Trebin

„Sehr geehrter Herr Trebin, durch Ihre freundliche Hilfe wurde die tagelange Blutung im Zeh des rechten Fußes schlagartig beendet. Recht herzlichen Dank dafür. Mit den besten Grüßen A.H."
Was war geschehen? Meine Helferin rief mich während unseres Urlaubs an, sie würde gerne ihrem Nachbarn helfen, der seit Tagen mit blutigen Handtüchern versuche, eine Schnittwunde am Fuß zu beruhigen. Ob sie ihm nicht eine Gabe Staphisagria besorgen könne? Die Geschichte ließ mich aber gleich an eine Behandlung mit Blutverdünnern denken, was sich bestätigte, und so riet ich besser zu Crotalus horridus (aus einem Schlangengift gewonnen). Eine Gabe in C200 ließ die Blutung binnen 5 Minuten zum Stillstand kommen. Der Herr stand unter der Einnahme eines Gerinnungshemmers; den Grund dafür konnte ich nicht herausfinden.

Unerklärliche Phänomene
Solche frappierenden Ergebnisse in akuten Erkrankungen lösen immer wieder eine leidenschaftliche Begeisterung für die Homöopathie aus, so dass man auch alle anderen Probleme zu bewältigen erhofft. Als wissenschaftlich ausgebildeter Arzt muss man allerdings eine Hemmschwelle überwinden, die bedeutet, dass man den Vorbehalt gegenüber der Methode zu überwinden hat, hierbei mit Zuckerkügelchen zu arbeiten, in denen kaum mehr ein Molekül der Ausgangssubstanz enthalten sein kann. Wenn man aber erfahren hat, dass es noch mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir uns nicht erklären können, dann ist man offen für ungeklärte Phänomene.

So staune ich immer wieder über meine telepathischen Fähigkeiten, die sich darin zeigen, dass mir nachts kurz ein Patient in den Sinn kommt, den ich lange Zeit nicht mehr gesehen habe, um am nächsten Tag zu erfahren, dass er sich aktuell einen Behandlungstermin hat geben lassen.

Junge Ärzte werden heute von der Universität mit einer sehr technokratischen Ausbildung entlassen, die es ihnen schwer macht, sich solchen unerklärlichen Phänomenen zu stellen, oder, trotz Psychosomatik auf dem Lehrplan, den Menschen als lebendes Objekt zu sehen und nicht als Maschine. Ein Hausarzt erkennt aber früher oder später, dass dieses Maschinenmodell nicht funktioniert, und so sucht jeder nach seinen eigenen Wegen, chronisch kranken Menschen gerecht zu werden. Leider hat sich unsere Gesundheitspolitik und unser Medizinsystem immer weiter vom Menschen entfernt, und nicht nur die von den Universitäten diktierten Leitlinien der Behandlung engen den ärztlichen Horizont ein, sondern auch die unglückselige Ökonomisierung des Berufes.

Und, obwohl es das Kassensystem zunehmend erschwert, suchen viele Kollegen ihres und ihres Patienten Heil in komplementärmedizinischen Methoden. So bin auch ich bei der Homöopathie gelandet und habe sie zu meinem obersten Behandlungsprinzip erhoben, nachdem ich viele andere alternative Therapieverfahren studiert habe.

Die Scheu vor den Hochpotenzen zu verlieren ist das eine, das Simileprinzip zu verstehen das andere. Nicht selten liest man in der Zeitung von bösen Buben, die auf der Suche nach einem Abenteuer sich einen Tee aus den Blüten der Engelstrompete gebraut haben, dann aber völlig ausgerastet sind und wegen ihrer Raserei von der Polizei in Handschellen gelegt werden mussten. Wenn wir in der psychiatrischen Notfallambulanz einem Gemütskranken begegnen, der in gleicher Weise randaliert, dann könnten wir ihm mit einer Dosis Stramonium C200 (Stechapfel, dem Inhaltsstoff der Engelstrompete verwandt und hochpotenziert) in kurzer Zeit aus diesem Zustand heraushelfen. Das kann man sich nur so erklären, dass mit diesen chemisch-inhaltslosen Kügelchen eine Information verabreicht wird, die den kranken Organismus zur Umkehr und Heilung anregt.

Wo die Schulmedizin, die Homöopathen nennen sie Allopathie, diesen Menschen mit Psychopharmaka massiv betäuben würde, so verhilft ihm die passende homöopathische Arznei rasch wieder in seine Mitte und raus aus der krankhaften Auslenkung seiner Lebensenergie. Dieser Begriff ist übrigens das 3. Paradigma – neben dem Simileprinzip: Gleiches mit Gleichem heilen und dem Dynamisieren oder Potenzieren der Mittel durch Verdünnen und Verschütteln.

Die Schulmedizin heilt wenig, sie dämpft nur diese Lebensenergie und mit ihr die Wucht der Krankheitssymptome: Analgetika, Psychopharmaka, Chemotherapie, Immunsuppressiva, Antibiotika.  Nicht dass man diese Möglichkeiten oder auch die erstaunlichen Fähigkeiten etwa der Chirurgie nicht schätzen würde, aber den chronischen Leidenszuständen etwa bei Migräne, Asthma, Neurodermitis etc. wird man nicht gerecht ohne zum Teil erhebliche Nebenwirkungen.

Samuel Hahnemann
Die Aderlässe vergangener Zeiten, über die wir uns heute lustig machen, taten nichts anderes; sie schwächten den Menschen und mit ihm die Krankheitssymptome, z.B. das Fieber. Unser Vorfahr und Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, empörte sich darüber, denn nicht wenige Menschen starben an dieser Behandlung – was heute bei vielen Methoden auch nicht von der Hand zu weisen ist – und setzte mit seiner ärztlichen Tätigkeit solange aus, bis er auf die Homöopathie gestoßen war, sie entwickelt und ihr zum Durchbruch verholfen hatte. Er wurde sehr viel angefeindet, was heute ja auch nicht anders ist.

Komplementärmedizinische Verfahren setzen mehr auf die Harmonisierung gestörter Energieverteilung im Organismus, allen voran die fernöstliche Kunst der Akupunktur mit ihrem klugen Meridiansystem, aber gut ausgeübte Homöopathie erreicht noch besser die Quelle dieser Leidenszustände. Und das ist der Punkt, wo mich meine eigene Ausübung der Homöopathie über mehr als 35 Jahre mit deren Wissens- und Erfahrungsschatz von über 200 Jahren viel gelehrt hat, nämlich ein tiefes Verständnis über die Ursachen und die Bedeutung von Kranksein. Und die Möglichkeit fundamentaler Heilung!

Hahnemann stieß auf manche Beobachtung, die ihm zeigte, dass man eine Krankheit bereinigen kann, wenn man den Körper minimalen Dosen einer Substanz aussetzt, die in der Lage ist, eine dem Beschwerdebild ähnliche Reaktion auszulösen. Die Chinarinde war eine der ersten Substanzen; ihr konnte er nachweisen, dass sie ein Wechselfieber ähnlich der Malaria verursachen kann. Bei Belladonna, dem Extrakt der Tollkirsche, fand er ein dem Scharlach ähnliches Arzneimittelbild.

In der damaligen Zeit – Hahnemann lebte von 1755 bis 1834 – gab es noch verheerende Epidemien, die viele Menschenleben kosteten, und Hahnemann konnte mit seiner Methode viele Patienten retten etwa bei einer Scharlach-Epidemie, bei der Cholera oder dem Fleckfieber. Damit verschaffte er sich eine erste gute Reputation, fand begeisterte Anhänger, aber auch große Gegner, vor allem nachdem er herausfand, dass es besser ist, nicht nur ein minimales Quantum des Giftes zu geben, sondern diese Gabe zu potenzieren, das heißt, bis ins Unendliche zu verdünnen und mit dem Verschütteln ihre Heilkraft anzuheben.

Hahnemann stieß aber an Grenzen seiner Vorgehensweise. Er erkannte, dass er zwar ein gutes Arsenal an Arzneien anbieten konnte zur Bewältigung akuter Leiden, aber scheiterte bei der nachhaltigen Stabilisierung seiner Patienten, der Heilung ihrer chronischen Krankheitsbereitschaft, der Bereinigung ihrer Konstitution. 10 Jahre arbeitete er daran, während denen er nur jede zweite Nacht schlief, bis er seine Lösung bekannt gab. Und die bestand darin, dass er, losgelöst von der Akutsymptomatik, mehr die konstitutionellen Eigenschaften des Patienten studieren und verwerten lernte.

Und auch seine Auswahl an Medikamenten änderte sich: während er zu Beginn vor allem pflanzlichen, zum Teil toxischen Substanzen als Ausgangssubstanz seiner Medikamente den Vorrang gab, so wandte er sich nun bevorzugt den mineralischen Mitteln zu, allen voran dem Schwefel, lateinisch Sulfur. Und so hat es sich als sinnvoll erwiesen, in der Konstitutionsbehandlung, also der Bewältigung chronischer Leiden, vor allem diese Mittel einzusetzen. Um nur einige weitere zu nennen: Phosphorus, Silicea, Natrium muriaticum, Kalium carbonicum. Aber auch einige biologische Präparate gehören hierzu wie Pulsatilla, Sepia, Lycopodium. Oder metallische wie Quecksilber und Gold.

Dieser Schritt ist aber bis heute noch nicht Allgemeingut unter den Homöopathen, ist mir aber in Fleisch und Blut übergegangen, vielmehr sogar weiterentwickelt dahingehend, dass ich vornehmlich Kombinationen aus diesen Einzelsubstanzen verwende, Salze also im Sinne von Wilhelm Schüßler (1821 - 1898); oder James Tyler Kent (1849 - 1916), der vor 100 Jahren einer der größten Homöopathen in den Vereinigten Staaten war.

Noch weniger gewürdigt werden die letzten Erkenntnisse, deren Umfang Hahnemann nicht mehr zu Enden denken konnte: die Miasmenlehre. Sie ist meines Erachtens der Gipfel der Methode und ein brillantes Handwerkszeug, nicht nur für die Behandlung unserer Patienten, sondern auch als ein offenes Buch, das unser Verständnis für den Ursprung und die Bedeutung von Kranksein enorm fördert. Leider ist diese Systematik bis heute, fast 170 Jahre nach Hahnemanns Tod, von den wenigsten Homöopathen verstanden worden, ja wird sogar befehdet und als überflüssig abgetan.

Ich möchte kein Arzt sein ohne Homöopathie und kein Homöopath ohne Miasmenlehre. Allen diesen homöopathischen Arzneien sind in ihrem Arzneimittelbild, also der Zusammenschau ihrer Symptomatik und ihrer therapeutischen Möglichkeiten, nicht nur körperliche Beschwerdekomplexe zugeschrieben, sondern auch Persönlichkeitsmerkmale.

Während die Arzneien pflanzlichen Ursprungs überwiegend nur einen Zustand repräsentieren, etwa die Art des Fiebers oder die Verletzungsfolgen, aber auch die mit der Krankheit einhergehenden Wesensveränderungen kennen, so charakterisieren die Mittel mineralischen Ursprung die gesamte Krankheitsdisposition und eine ganze Persönlichkeit.

Werden wir etwa bei einer schmerzhaften Mittelohrentzündung um Rat gefragt, so erleichtert uns das Wissen um die psychische Verfassung des Kindes gut die Mittelwahl. Ein Chamomilla-Fall wäre ein Kind, das – im Gegensatz zu sonst – vor lauter Schmerz wütend ist, um sich tritt, dies und das verlangt und dann wieder abweist; es weiß nicht, was es will. Ist das Kind aber nur Mitleid erregend weinerlich, anschmiegsam und durch Trost zu besänftigen, dann ist das ein Fall für Pulsatilla. Findet man solche Hinweise, dann wird die Arznei sicher zu wählen sein und rasch helfen.

Die chronischen Krankheiten
Im chronischen Krankheitsfall, etwa bei einem Rheuma, nützt uns das Wissen um den Charakter des Patienten bei der Arzneimittelwahl als oberste Entscheidungsgrundlage, sofern hierzu klare und nicht spekulativ erfasste Erkenntnisse vorliegen – natürlich neben den gleichrangigen körperlichen Krankheitssymptomen. Einen Aurum- (Gold-) Typ erkennen wir an seinem hohen Ehrgeiz und Leistungsanspruch, aber auch an seiner tiefen Verzweiflung bei Misserfolg. So hat ein bekannter, erfolgreicher Konzernchef vor Jahren sich vor den Zug geworfen, weil er an der Börse einen Teil seines riesigen Vermögens verloren hat. Er wäre auch nicht verarmt mit dem Rest seines Besitzes.

Aurum hätte ihm sehr wahrscheinlich in dieser Krise gutgetan und ihn aus seiner Depression geholt, aber zur nachhaltigen Stabilisierung hätte es einer längeren Betreuung gebraucht – und um die Homöopathie nicht zu weit auf’s hohe Ross zu stellen, sicher auch einer psychotherapeutischen Beratung.

Hier sind wir beim Problem der sogenannten chronischen Krankheiten, womit man Leiden wie Rheuma, Asthma, Allergien, Migraine, Neurodermitis u.v.a.m. meint. Hahnemann sah eine Lösung darin, den Patienten einer Reihe von Arzneien auszusetzen in einer Abfolge, die der Verlauf nahelegt. Er sah also einen Bedarf an vielerlei Mitteln, die nach und nach den Patienten von seiner Krankheitsbereitschaft befreien sollen, Antipsorika genannt. Damit erreicht man schon Vieles, bleibt aber auch auf nicht wenigen Misserfolgen sitzen.

Bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts fuhren die Homöopathen diese Strategie, mussten aber erkennen, dass die Erfolge damit nicht ausreichend waren. Es traten diverse neue Schulen auf den Plan, teils aus Indien kommend, teils aus Südamerika, einige aus den Niederlanden, also den Hochburgen der klassischen Homöopathie. Ich musste feststellen, dass mancher meiner Lehrer, der sich bis dahin als brillanter Kenner der Materie erwies, sich diesen Schulen zuwandte, was mir als Hinweis darauf galt, dass er mit dem bisherigen Konzept nicht zufrieden war.

Diese neueren Schulen stützen sich im Wesentlichen auf zwei Dinge, einerseits die sogenannte Signaturenlehre, die vom Erscheinungsbild der Pflanze etwa auf deren Wirkspektrum schließen möchte (ein ganz banales Beispiel wäre der Spargel, dem man guten Einfluss auf die Potenz eines Mannes zusagt), andererseits auf subtilste Einsicht in die Stimmungslage des Patienten (was aufgrund von möglichen Fehlinterpretationen trügerisch sein kann). Man sucht auch immer weitere neue Arzneimittel aus exotischen Tier- und Pflanzenfamilien, obwohl meiner Ansicht nach unsere Materia medica, unser Arzneimittelschatz, alles bereithält, was wir brauchen, man muss es nur zu finden wissen.  Es hat sich eine schwärmerische, fast esoterisch angehauchte Ausübung der Methode eingestellt, die leider unseren Kritikern reichlich Munition liefert.

Das Verhalten eines Menschen in Ähnlichkeit zum Charakter eines Tieres zu setzen ist etwa so ein Weg. Gebärdet er sich wie ein Löwe, so geben ihm manche Schulen Lac leontinum in Hochpotenz (wobei es kein Leichtes sein wird, die Milch einer Löwin zu melken). Ein anderes Beispiel, das gerne zitiert wird ist Berliner Mauer. Aus deren Bröckeln ließe sich eine Arznei gewinnen für verschlossene, abweisende Menschen.

In dieser, von einem technokratischen Medizinverständnis dominierten Zeit, ist für derlei Spekulatives kein Platz und so füttern wir mit solchen Ideen nur die Kräfte, welche die Homöopathie abschaffen wollen. Das viele Gute, das sie leistet, gerät darunter aus dem Fokus. Auch wenn sie ihr ohne Zweifel vorhandenes Potential noch nicht ausschöpft, so wird die Methode von den Patienten doch sehr geschätzt als Alternative zu Schulmedizin, die sich allmächtig fühlt, aber in vielen Aspekten am Leben vorbei geht, einem lebenden, beseelten Organismus oft nicht gerecht wird und auch viel Schaden anrichten kann (und mehr vom guten Glauben lebt, als man denkt).

Ich selbst habe einen eigenen Weg gefunden, der sich an die großen Könner anschließt, die vor über einhundert Jahren in den USA wirkten und der Methode eine große Blütezeit verschafften. Constantin Hering (1800 bis 1888) und James Tyler Kent (s.o.!) waren die am meisten prägenden Kräfte. Mit ihnen verlor die Homöopathie an Ansehen, wo sie zuvor noch große Anerkennung hatte, wie die reiche Zahl an homöopathischen Kliniken in Amerika zeigte. Unter anderem das Aufkommen wirksamer Allopathika wie Aspirin oder die ersten Antibiotika leiteten ein Wende der Pharmakologie ein.

Ein Schweizer, Pierre Schmitt, lernte in den 30er Jahren bei den Nachkommen jener Größen in den USA und brachte deren Ausübung der Methode nach Europa zurück. Von seinen Schülern gelehrt, haben die nächsten Generationen die Homöopathie wieder aufblühen lassen.

Auch ich bin im klassischen Sinne ausgebildet worden, habe mich aber, auch angesichts der teilweisen Unzulänglichkeit meiner Arbeit, auf das Wissen jener amerikanischen Meister rückbesonnen. Denn auch die damalige Generation schien nach besseren Lösungen gegenüber den Standards zu suchen und fand zu den mineralischen Salzen, wie ich sie heute zum Zentrum meiner Arbeit gemacht habe. Auch wenn diese Arbeitsweise wesentlich bessere Ergebnisse gegenüber der klassischen Ausübung der Homöopathie erlaubt, so lerne ich jeden Tag noch dazu; „der Homöopath stirbt in seiner Lehrzeit", so sagt man.

Therapeutische Verwandtschaften
Interessant ist die Verknüpfung der Methode mit anderen Heilsystemen, etwa mit der Akupunktur und ihrem genialen Meridiansystem. Diese Energiebahnen, deren anatomisches Substrat genauso wenig identifizierbar ist wie die Wirkweise der homöopathischen Hochpotenzen, überziehen den Körper wie Längen- und Breitengrade. Es gibt den ventralen, nach vorne gerichteten Umlauf, den lateralen, zur Seite weisend, und den dorsalen, der nach hinten zeigt.

In der Homöopathie kennt man das Arzneimittelbild von Natrium muriaticum; es beschreibt Menschen, deren Gedanken viel an Vergangenem haften, vor allem an zurückliegenden Verletzungen, seelisch wie körperlich. Sie gleichen der Idee des dorsalen, rückwärtsgewandten Umlaufs, welcher die Niere einbezieht. Diese aber reguliert den Wasserhaushalt über die Ausscheidung oder das Zurückhalten von Natrium muriaticum, nämlich Kochsalz. Und in der alttestamentarischen Mythologie gibt es die Geschichte der Frau Noahs, die entgegen der Weisung des Engels nach Gomorrha zurückblickt aus Trauer über ihre verlorene Heimat – und sie erstarrt zur Salzsäule!

Der laterale Umlauf in der Akupunktur steht für Daseinsbewältigung, für den Einsatz der Ellenbogen, um seine Existenz zu sichern. Hier ist das Terrain für ein Lebermittel wie Natrium sulfuricum, das auch einen energetischen Bezug zur rechten Schulter hat, der Seite des Zorns.

Und dann gibt es noch den ventralen Umlauf, nach vorne, auf das Kommende blickend. Hier spielen die Atemwege die große Rolle. Phosphorus ist hier das Hauptmittel, das mit seiner Sensibilität, seinen Ahnungen und Ängsten Gefahren zu wittern gelernt hat.

Dr. Christian Behrendt, ein Freund und Nervenarzt, hat sich viele Gedanken gemacht über den Ursprung psychischer Besonderheiten, etwa in archaischen Gesellschaften. Und er sieht durchaus einen Wert und eine Funktion der Angstbesetzten etwa in einer Gruppe frühzeitlicher Jäger und Sammler, nämlich sensibel für kommenden Unbill zu sein und damit zum Schutz der Gemeinschaft beizutragen.

Wir haben es bei Phosphorus mit dem tuberkulinischen Miasma zu tun, dessen Wesenhaftigkeit sich nicht nur auf die Atemwege bezieht, sondern auch auf das Stützgewebe, also Knochen, Zähne und Nägel. Diese Menschen sind oft auffallend hochgewachsen, vielleicht deshalb, weil sie damit weiter vorausblicken und auch so die Gefahren früher erkennen können?

Miasmen und Nosoden
Das waren ein paar unverbindliche Denkspiele, die uns nun aber in die Welt der Miasmen geführt haben. Hierzu gibt es eine Grundannahme derart, dass gewisse chronische Infektionskrankheiten nicht nur Spuren in der Gesundheit des Betroffenen hinterlassen, sondern auch Auswirkungen auf dessen Nachkommen haben und deren Gesundheit auf eine spezifische Weise unterminieren, sie also für gewisse Anfälligkeiten prädestinieren. Miasma bedeutet „Befleckung".

So war eine meiner ersten Erfahrungen mit der Homöopathie eine Krankenschwester, die von einer pustulösen Akne im Gesicht betroffen war, vor allem um das Kinn. Alle ärztlichen Maßnahmen bis dahin blieben ohne Erfolg. Ihre Familiengeschichte offenbarte, dass sie das letzte Kind unter ihren 5 Geschwistern war und dass ihr Vater um die Zeit ihrer Geburt an Tuberkulose starb.

Zu vermuten war, dass er auch schon vor ihrer Zeugung von dieser Krankheit betroffen war, und mein Schluss daraus hieß, dass sie auf dem Erbweg von ihm das tuberkulinische Miasma übernommen hatte. Ich gab ihr eine Dosis Tuberculinum C200, das ist ein hochpotenziertes Präparat aus dem Eiter eines Tuberkulose-Herdes. Damit war diese Akne, die zum Arzneimittelbild dieser sogenannten Nosode (aus Krankheitsausscheidungen gewonnene homöopathische Mittel) rasch unter Kontrolle gebracht. Die Arznei hat gewissermaßen diese Erblast in einem antagonisierenden Sinne gelöscht. Ihre 4 älteren Geschwister waren übrigens frei von diesem Leiden.

Allgemein anerkannt und eingesetzt in der Behandlung chronischer Leiden sind 5 solcher Nosoden, die den jeweiligen Miasmen zugeordnet werden. So gibt es noch das Miasma der Psora; es repräsentiert eine Art Grundrauschen an Schwäche und Anfälligkeit. Deren Nosode heißt Psorinum und ist aus den Schuppen einer krätzekranken Haut gewonnen. Der Schwerpunkt ihrer Zuständigkeit sind folgerichtig juckende Hauterkrankungen.

Tiefer geht die Pathologie beim Miasma der Sykose, vor allem entzündliche und degenerative chronische Erkrankung der Beckenorgane, des Urogenitalbereichs betreffend. Auch Warzen und Pilzerkrankungen gehören zum umfassenden Arzneimittelbild der diesem Miasma zugeordneten Arzneien. Ihre Nosode ist Medorrhinum, gewonnen aus dem Sekret der Gonorrhoe. Zur Essenz dieses Mittels gehört der Charakter der Übertreibung, zu verstehen als die Kompensation einer grundlegenden Unzulänglichkeit. Sinnbildlich steht hierfür die Allergie, bei der ein harmloses Agens, nämlich der Hausstaub oder die Blütenpollen, nicht einfach unspektakulär eliminiert werden, sondern eine unangenehme Überreaktion hervorrufen.

Diese Miasmen, ihre Nosoden sowie die weiteren Mittel im Bunde geben uns ungemein vielfältige Einblicke, nicht nur in den Ursprung und die Bedeutung von Krankheiten, sondern sie lehren uns auch viel über den Charakter der Menschen und noch mehr über gesamtgesellschaftliche und philosophische Zusammenhänge.

Besonders destruktive Eigenschaften gehören zum Bild der Syphilinie, der unter anderem das oben schon genannte Aurum zugeschrieben wird, Destruktion gegen sich selbst – also auch die am meisten zerstörerischen Krankheiten –, aber auch Destruktion gegen die Mitmenschen. Ihre Arznei ist aus dem Sekret des harten Schankers gewonnen, also der Lues.

Diese Hinweise sind freilich nur Andeutungen; es ließe sich sehr viel mehr über diese Miasmen erzählen, aber folgende Geschichte sei noch angebracht, denn sie zeigt, was uns die Homöopathie über das Leben lehren kann; ich habe sie schon öfter erzählt.

Das Miasma der Sykose
Ich hielt auf Einladung des Kinderschutzbundes einen Vortrag über Naturheilkunde und Homöopathie. Am folgenden Tag rief ein Mann in meiner Praxis an und meinte, seine Frau habe meine Ausführungen gehört und nun wisse er, ich sei die einzige Person, die ihm helfen könne. Meine Sekretärin stritt dies nicht ab, wies ihn aber darauf hin, dass auf längere Sicht kein Termin mehr frei wäre für eine Neuaufnahme. Nichtsdestotrotz erreichte er noch am gleichen Tag eine Konsultation.

Herein kam ein gesetzter Herr, Mitte 60, von gutem Benehmen, in feinem Anzug, mit festem Händedruck. Seine Ausstrahlung vermittelte in diesem Moment klar, dass er jetzt der Herr im Hause wäre und ich gleich einem Subunternehmer einen Auftrag zu erfüllen habe.

Was wäre das Problem? Er leide unter fürchterlichen Nächten und erwache zu jeder Stunde aus schrecklichen Albträumen. Er beschrieb sich als Unternehmer, der riesige Baumaschinen vermietet oder verkauft, bei denen alleine die Räder größer seien als ein ausgewachsener Mann. Er sei sehr emotional, könne weinen, wenn er von leidenden Kindern in den Nachrichten höre, aber auch mit seinen Mitarbeitern brüllen, dass die Wände wackeln. Trotz seines reifen Alters sei die körperliche Liebe weiterhin wichtig für ihn.

Ich dachte: gestresster Unternehmer, also Nux vomica! Half aber nicht. Bei der nächsten Sitzung 2 Tage später erfuhr ich noch von einem leichten Ekzem der Beine, sonst fehle ihm nichts. Ekzem und Erwachen zu jeder Stunde: Sulfur; half auch nicht viel. Nun lag es an mir, nicht mehr zu schlafen, denn ich wusste, morgen würde er wiederkommen und ich habe keine Lösung. Also erkundigte ich mich nach seiner Familie: seine Mutter sei mit etwa 40 Jahren an plötzlichem Herztod gestorben. Nun fiel bei mir der Groschen: Medorrhinum! Diese Nosode, gegeben in C200, befreite ihn rasch von seiner Not. Und wenn ich ihn später traf, etwa bei einem Konzert, vergewisserte er mich seines tiefen Dankes.

Hier sehen wir einige Essenzen von Medorrhinum: Übertreibung (die großen Baumaschinen), extreme Reaktionen (seine Stimmungsauslenkungen), Machtanspruch (seine Dominanz über meine Person), plötzlicher Herztod in der Familie und hohe Libido! Lediglich als Folge von Gonorrhoe, Chlamydien, Trichomonaden oder Pilzen kann ich mir das nicht erklären.

Wenn ich heute so manche Unternehmensphilosophie betrachte, dann scheint mir dort auch das sykotische Miasma, also jenes, deren Nosode Medorrhinum ist, hinter dem Erfolg zu stehen. Ingvar Kamprad, der Begründer von IKEA, könnte davon geprägt gewesen sein; vielleicht musste er der Welt beweisen, was er vermag. Aus einem kleinen Möbelgeschäft hat er ein weltumspannendes Unternehmen von ungeheuren Dimensionen geschaffen und damit den Expansionsdrang, das ungezügelte Wachstum von Medorrhinum ausgelebt und seinem Unternehmen implantiert. So suchte ich neulich in seinem Angebot ein schlichtes Regalbrett aus dem System IVAR, jeder kennt es; es war in der Anfangszeit der Firma bezeichnend für die schlichte Grundstruktur ihrer Produkte. Nun aber musste ich mich erst durch zwei Dutzend Regalsystem durcharbeiten, bevor ich mein Brett fand – die Hypertrophie lässt grüßen.

Im körperlichen Bereich steht die Sykose übrigens vor allem für wucherndes Gewebe, vornehmlich für Warzen und andere gutartige Tumore, was uns zeigt, wie die Homöopathie auf erstaunliche Weise Körper und Geist zusammenfasst. Und so liefert sie uns manche Erkenntnis über die Dinge des Lebens aus dem tiefen Bauch ihres Wissens.

Das Krebsmiasma
Ausführlich möchte ich im Folgenden auch das Miasma der Karzinogenie darstellen, mit dem ich mich seit vielen Jahren fundamental beschäftige und das für uns alle von Bedeutung ist. Während die bisher skizzierten Miasmen vornehmlich genetisch angelegt sind und weitergegeben werden, so spielt beim sogenannten Krebsmiasma auch die Biografie des Patienten eine wesentliche Rolle.

Nosoden sind in der Tat merkwürdige Arzneien, und für einen Nichthomöopathen wirkt es sicherlich irritierend, dass diese aus Krankheitsprodukten gewonnenen Medikamente eine arzneiliche Wirkung entfalten sollen. Gottlob sind sie hoch potenziert, d. h. in unendlich verdünntem Zustand und nicht mehr in Substanz, wenn wir sie verabreichen.

Zieht man aber in Betracht, dass bei den ersten vier der genannten fünf wichtigsten Vertreter dieser Arzneigruppe nach der traditionellen Annahme ein Infektionsgeschehen den Beginn eines chronischen Leidens darstellt, so kommt man dem Verständnis schon näher. Der primären Affektion, also dem Zusammenspiel von Krankheitserregern und der entzündlichen Reaktion des Organismus, folgt im weiteren Krankheitsverlauf eine Kaskade von Beschwerdebildern nach und es entfaltet sich schließlich ein Strauß von Krankheitssymptomen. Sie betreffen nicht nur den aktuell Erkrankten, dem sich hiermit ein spezifisches Miasma einprägt, sondern auch, wie wir denken, seine Nachkommen, die unter einem hereditären Miasma leiden werden.

Dies ist eine Modellvorstellung der Homöopathie, basierend auf der Psora-Lehre von Samuel Hahnemann, die sich wiederum von seinen Beobachtungen der Syphilis ableitet, einem Leiden, das zur damaligen Zeit weit verbreitet war. Ob tatsächlich das Miasma auf dem Weg einer akuten Infektion erworben wird – manche Beobachtung spricht sehr wohl dafür – oder ob diese Miasmen Grundlinien animalischer (bei Mensch und Tier!) Erkrankungsmuster individuell unterschiedlicher Ausprägung sind, das sei dahingestellt. Mit Sicherheit lässt es sich aber mit diesen Strukturen hervorragend arbeiten.

Bei Psorinum, bei Tuberculinum, bei Medorrhinum und bei Syphilinum liegen also als Ausgangssubstrat für die Herstellung der Arznei Ausscheidungen des Körpers vor, als eine Mischung von Krankheitserregern und Entzündungssekret zu verstehen. Demnach erscheint es nicht unlogisch, dass im Verlauf der Therapie eines miasmatisch Geprägten das initiale Agens, zubereitet und dynamisiert zur Nosode, eine homöopathische Wirkung auf den Verlauf der Behandlung entfalten kann, im Sinne eines Antagonisierens des zugrunde liegenden Übels.

Wie verhält es sich aber mit Carcinosin? Hier ist es das Krebsgewebe, aus dem das Medikament gefertigt wird. Eine erhöhte familiäre Belastung durch Krebsfälle mag noch den Simile-Charakter erkennen lassen, reicht aber nicht aus als Erklärung bei Patienten, denen allein eine entsprechende Biographie die Zuordnung zum Krebs-Miasma verpasst hat. Das Krebsmiasma, also die Karzinogenie, nährt sich nämlich noch aus einer weiteren Quelle, denn auch belastende biografische Erfahrungen können dessen Charakteristika einprägen oder aktivieren.

Das sind vor allem Vorgänge, welche die freie und unbekümmerte Entfaltung eines Menschen in Zeiten seiner Reifung behindern. Betroffen sind Kinder etwa, die sehr frühzeitig unangemessene Verantwortung für die Familie übernehmen müssen, weil z.B. die Eltern überlastet sind oder durch Krankheit ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können; Kinder, die für die Eltern selbst Verantwortung übernehmen, weil diese psychisch zerstört sind, durch Suchterkrankungen etwa, oder weil sie durch eheliche Streitigkeiten oder Trennungsprozesse aufgerieben sind und durch ihre Hilflosigkeit ihre Kinder zur Fürsorge nötigen, was die Psychologen Parentifizierung nennen; Kinder, deren Eltern wegen Krankheit besondere Rücksichtnahme verlangen; Kinder und junge Menschen, die Opfer von psychischen Grausamkeiten geworden sind, von Traumatisierungen, die man nur durch Verdrängen aller Emotion überstehen kann, im Elternhaus, in Heimen, in Kriegen, bei Flucht und Vertreibung; Kinder und Jugendliche schließlich, die durch Gewalterfahrung oder sexuellen Missbrauch eine tief greifende Form von Entwürdigung erfahren haben. Konditionelle Liebe, also Wertschätzung nur dann zu erfahren, wenn man den Erwartungen anderer entspricht, beispielsweise der Eltern, ist auch eine Ursache der karzinogenen Prägung ebenso wie die zeitige Konfrontation mit der Erkenntnis, eventuell schon vorgeburtlich im Falle einer unerwarteten Schwangerschaft, dass man unerwünscht ins Leben tritt.

In einer Traumaleiter würde nach meiner Ansicht körperliche Misshandlung Platz 3 einnehmen. Schwerer wiegt schon der sexuelle Missbrauch. Aber den obersten Rang nimmt nach meiner Erfahrung das Nicht-Wahrgenommen-Werden ein, das Schicksal der Schattenkinder, die große emotionale Vernachlässigung erfahren, weil etwa ein behindertes Geschwisterkind alle Aufmerksamkeit der Familie an sich zieht.

Die Folge solcher Erfahrungen sind bestimmte Prägungen der Betroffenen wie etwa mangelnde Eigenliebe, Überangepasstheit, Unterwürfigkeit und unangemessene Opferbereitschaft, ein hoher Leistungsanspruch an sich selbst als Bestätigung der Selbstwertes, ein andauerndes Ringen nach Anerkennung, übermäßige Ernsthaftigkeit und eine kämpferische Grundhaltung an allen möglichen Fronten bis hin zur Selbstaufgabe, unangebrachte Schuldgefühle, auch Autoaggression wie etwa eine Anorexie – letztlich eine  Negierung der eigenen Existenzberechtigung!

Zum Bild der Karzinogenie gehört auch die Suche nach Grenzerfahrungen ebenso wie eine auffallende Ästhetik oder Sinnlichkeit, schließlich auch ein starkes Mitgefühl und Mitleiden.
Die andere Seite der Medaille ist aber auch ein rebellisches Auftreten, meist aber gegen das falsche Objekt. (So manche Ehe sah ich zerbrechen, wobei der trennende Impuls von Frauen ausging, deren Biografie von einem problematischen Elternhaus geprägt war.) In seiner destruktiven Kraft steht dieses Miasma der Syphilinie nicht fern, auch in Gestalt gewisser Zwanghaftigkeiten, etwa in der Furcht vor Krankheit oder Ansteckung.

Schwere, lebensbedrohliche Erkrankungen in jungen Jahren kennzeichnen das Krebsmiasma, andererseits aber auch das späte, erst das Erwachsenenalter betreffende Durchleben von Kinderkrankheiten oder deren wiederholtes Auftreten. Entwicklungsstörungen und schwere Schlafprobleme bei Kindern fallen in diesen Formenkreis, letztere vielleicht zu verstehen als Ausdruck einer Furcht vor einem Grauen, welches das Unterbewusstsein bereithält, sobald man ihm im tiefen Schlaf ausgeliefert ist.

Die letzte Konsequenz ist das Auftreten einer Krebserkrankung, also der Bereitschaft des Körpers zur Selbstvernichtung. Gibt es also so etwas wie eine Krebspersönlichkeit? Die Forscher in Medizin und Psychologie verneinen dies. Ich befürchte aber, dass Statistik eine derart subtile Frage nicht wird klären können.

Fest steht, und diese Behauptung beruht auf zahlreichen Beobachtungen, dass dem Ausbruch von Krebs sehr oft lang dauernde Belastungen vorausgehen, seien es seelische Dramen wie etwa eine Trennung oder Scheidung, seien es lange Erschöpfungsphasen durch berufliche oder private Verausgabung, etwa durch eine lange aufopfernde Pflege von Angehörigen.

Hier kann man den Geist der Karzinogenie vernehmen, denn wer dessen Prägung in sich trägt, ist eben mehr gefährdet, sich im Dienste anderer zu verausgaben, seine eigenen Bedürfnisse zu übergehen und sein Kräfte-Konto zu überziehen. Und in dieser Konstellation vermag ich eben doch die Existenz einer Krebspersönlichkeit vermuten – was freilich nicht allen Krebserkrankten zu eigen sein muss.

Sinnbildlich scheint mir die Vita einer Menschenrechtlerin zu sein, deren Interview ich vor längere Zeit in einer Zeitung las. In ihrem grenzenlosen Engagement betreute sie nach vielen anderen Einsätzen zuletzt kriegstraumatisierte Kinder in einem eigenen Haus in Kroatien, um schließlich nach Deutschland zurückkehren zu müssen – wegen einer eigenen Krebserkrankung, wie am Schluss des Artikels vermerkt war. Inzwischen ist sie verstorben.

So gesehen, kann ein Karzinom das Resultat einer Persönlichkeitsstruktur sein, der es erfolgreich eingeimpft oder aber als Erbe mitgegeben wurde, die eigenen Bedürfnisse zu sehr zu vernachlässigen. Und hier, das macht den Unterschied zu den anderen vier chronischen Miasmen aus, gewinnen wir die Nosode, also die Arznei, nicht aus dem Ursprung der Krankheitskaskade, sondern aus deren Endprodukt, dem Tumor nämlich! In ihm materialisiert sich möglicherweise der Geist einer ungesunden Lebensführung und macht ihn zur Ausgangssubstanz einer der wichtigsten homöopathischen Arzneien.

Die chinesische Medizin kennt einen blumigen Ausdruck etwa für das Mamma-Karzinom, sie spricht von "gefrorenen Gefühlen".


Carcinosin und die Kali-Salze

Die eigenen Gefühle zu vernachlässigen, richtiggehend zu unterdrücken, das ist es, was auch dem Arzneimittelbild von Kalium carbonicum zu eigen ist, welches stellvertretend auch für die anderen Kali-Salze steht und das mineralische Äquivalent zur Nosode Carcinosinum darstellt. Der Typus von Kalium carbonicum gilt als rational, verkopft und scheint gerne höheren Weisungen zu folgen. Somit darf er auch als loyal, pflichtbewusst und unterordnungsbereit gesehen werden. Die Folge ist, dass die eigenen Gefühle und Bedürfnisse weniger wahrgenommen und weniger ausgelebt werden. Anstelle von Emotionalität steht Sachlichkeit. Der Zugang zu den eigenen Gefühlen scheint ein wenig vermauert zu sein und Situationen, die stark gefühlsbetont sind, sind nicht die Domäne des Kali-Patienten; Partnerschaft und Intimität leiden darunter, weil die Gefühlskontrolle zu mächtig ist.

Neben der Möglichkeit, dass diese Art der Gefühlsverdrängung anlagebedingt sein kann, ebenso wie der Carcinosin-Charakter anlagebedingt sein kann, so mag solches Verhalten aber auch Produkt von stark traumatisierenden Lebensumständen sein – auch hier der Entstehung der Carcinosin-Mentalität vergleichbar. Unter unerträglichen Lebensumständen, z. B. bei Misshandlung durch Personen des näheren Umfeldes, die eigentlich für den Schutz des Kindes zuständig wären, kann es zur "Überlebensstrategie" werden, "dass der Körper die Wahrnehmung von Gefühlen abschaltet, um nicht mehr spüren zu müssen, was nicht aushaltbar ist". "Dissoziation" nennen das die Psychologen, wie der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Brisch in einem Interview ausführt (Süddeutsche Zeitung; 184/2007).

Die Folge der Gefühlsverdrängung sind aber oft somatische Leiden, und die Masse meiner Patienten mit schweren körperlichen Pathologien, seien es Asthma, Rheuma, Migraine, weist in ihrer Biografie in aller Regel Traumatisierungen oben genannter Art auf. So hat mir der breite Strom an Leidensgeschichten, die mir aus hunderten bis tausenden Anamnesen begegneten, ein tiefes Verständnis für den Ursprung und die Funktion von Kranksein vermittelt. Auch Generationen übergreifende Traumata belasten die Seele eines Menschen und hinterlassen ihre Spuren in der Gesundheit; Krieg, Gefangenschaft, Vertreibung bleiben auch bei den Erben nicht ohne Folgen (Die Journalistin Sabine Bode hat einige Bücher darüber geschrieben). Die Wissenschaft behauptet sogar, dass diese Spuren im Erbgut nachzuweisen sind.


Der Verlauf der Therapie

Die Neuaufnahme eines Patienten umfasst in der Regel eine Anamnese von mindestens einer Stunde Dauer, während der wir nicht nur die bisher aufgetretenen Beschwerden erfassen, die Krankheiten in der Familie, die körperlichen Charakteristika und die Persönlichkeitsmerkmale, sondern auch die Umstände des Aufwachsens. Insofern haben wir wirklich einen großen Luxus, denn in welcher anderen Fachrichtung der Medizin darf man so viele Informationen über einen Patienten bekommen, ist ein so fundamentales Kennenlernen möglich. Wir brauchen das aber, um eine solide Basis für unsere Medikamentenwahl zu haben – siehe auch Hahnemanns Wandel in der Behandlung der Chronischen Krankheiten! Der Prozess des Kennenlernens und des Begreifens des Patienten setzt sich natürlich fort mit der Zusammenarbeit über die Jahre der Begleitung.

Ein junger Patient beklagt eine schmerzhafte Verkrümmung seines männlichen Gliedes. Es steht eine lokale Gewebsentzündung zu vermuten. Nach einigen Mittelgaben gelingt es, wenigstens die vor allem nachts auftretenden Schmerzen zu beschwichtigen und damit offensichtlich den Entzündungsvorgang einzudämmen. Nur einmal wären nach der letzten Gabe die Schmerzen wieder aufgetreten, auf der Fahrt zu seinen Eltern anlässlich Ostern. Der Psychologe in mir wird hellhörig: hat das etwas mit seiner Biografie zu tun? Wie waren denn die Eltern? Der Vater sei immer warmherzig gewesen, aber die Mutter, eine Lehrerin in der DDR, habe viel geschrien, und zwar so laut, sagt er, dass die Lampen wackelten. Und geschlagen habe sie auch noch, wegen Nichtigkeiten. Man habe immer in Angst und mit Schuldgefühlen gelebt.

Ist es ein Wunder, wenn einem ewig gedemütigten Menschen die Lust am Leben verloren geht und der Körper die Liebesfähigkeit und damit die Quelle großer Freude verweigert? Aus dem Wissen über solche Zusammenhänge erwächst uns, und das ist das Schöne an der Methode, auch die Möglichkeit der Hilfe, Arzneien wie oben beschrieben, sind es dann, die wir einsetzen.

Geschenkt wird einem diese Hilfe allerdings nicht, denn sowohl die Mittelwahl erfordert viel Wissen, Erfahrung und Sorgfalt, aber auch die laufende Betreuung stellt hohe Ansprüche. Es gibt keine Wunderheilung, bei der die einzelne Gabe eines genialen Mittels mit allen Problemen aufräumt, vielmehr stellt die Behandlung einen dynamischen Prozess dar, währenddessen die Reaktionen auf jede Arzneimittelgabe ausgewertet und hinterfragt werden müssen. Aus dem Behandlungsverlauf erwachsen neue Erkenntnisse über den Patienten, und auch akute interkurrente Krisen führen uns weiter. Die bisherige Mittelwahl muss stets überprüft und eventuell angepasst werden ebenso wie ergänzende Arzneien zu wählen sind, oben erwähnte Nosoden etwa oder Akutmittel für bestimmte Zustände außerhalb der konstitutionellen Vorgaben. Manche noch unbekannte Krankheitsveranlagung meldet sich erst während der Betreuung, und manche seelische Wunde, bisher verdrängt, kehrt in die Erinnerung zurück und verlangt gleichfalls nach einer Antwort. Im Idealfall werden aber nach und nach die Altlasten abgebaut und umfassende Gesundheit wiederhergestellt.

Um gesund zu werden und zu bleiben, muss sich meines Erachtens jeder Mensch spätestens nach der Mitte des Lebens mit seiner Herkunft befassen und über sein Erbe und seine Biografie reflektieren: Wie man wird, was man ist, so sind die Memoiren von Irvin D. Yalom überschrieben, einem bekannten amerikanischen Psychotherapeuten. Eine gute homöopathische, ggfs. auch psychologische Begleitung hilft uns, die einengende Eierschale aufzubrechen, die uns unsere Vorfahren und unser Leben verpasst haben; hilft uns, den Weg von Reifung und Befreiung zu gehen. Tatsächlich sind unsere Mittel und die unvermeidlichen begleitenden Gespräche ein wunderbarer Weg, dieses Ziel zu erreichen, Gesundheit herzustellen und auch zu sichern. Es kann aber Jahre oder auch ein ganzes Leben brauchen, um ein beschädigtes Urvertrauen wieder einigermaßen auszugleichen.

Wenn man sich dieser Aufgabe nicht stellt, so wird unser Blickwinkel immer enger, unser Rückzug schreitet voran, die Augen, das Gehör werden schlecht, man will vom Leben und seinen Gefahren nichts mehr wissen und endet zuletzt in der Demenz. Bleibt man aber elastisch und neugierig, so könnte man mit wachem Verstand sein Leben abschließen. Man sollte sich beizeiten von der Angst lösen, die im Grunde die Quelle allen Übels ist. Die Homöopathie hilft uns dabei über manche Schwelle, die wir alleine nicht bewältigen.

Oft stehen wir vor der Aufgabe, rebellische, quertreiberische Kinder wieder in die Spur zu bringen. Deren Verhalten sehe ich aber nicht losgelöst vom Leben der Eltern, vielmehr erkenne ich darin schon einen Weg, sich der eingeengten, unrichtigen Lebensweise des Familiengeistes zu verweigern. Deshalb sollten sich die Eltern diese Krisen ihrer Kinder zum Anlass nehmen, ihr eigenes Leben, auch im oben genannten Sinne, in Frage zu stellen.

Ich habe den Kalium-Salzen und dem karzinogenen Miasma so viel Raum gegeben, weil wir alle mehr oder weniger davon betroffen sind, weil wir alle Kontrolle über unser Leben und unsere Emotionen gelernt haben. Heute, da ich noch an diesem Aufsatz feile, habe ich eine gute Differenzierung vernommen; es war die Rede vom Erziehungstrauma, das einer gesunden Sozialisierung zugrunde liegt, und dem Schocktrauma, welches das Urvertrauen in das Leben nachhaltig zerstören kann. Den davon betroffenen Menschen fehlt einfach die Basis für ein freies, selbstbestimmtes, gesundes und von Selbstvertrauen getragenes Leben.

Hier kann die Homöopathie helfen, und ich zitiere Giovanni Maio, einen Professor für Ethik  in der Medizin, Lehrstuhlinhaber in Freiburg (aus seinem Buch Den kranken Menschen verstehen):


 

Wir können bei einem Patienten alles Mögliche untersuchen, anordnen und behandeln und doch bleiben all diese Herangehensweisen fruchtlos, wenn sie nicht von Zuwendung begleitet sind. Denn all diese Verrichtungen können nicht vermitteln, worum es bei der Therapie geht: um die Zusicherung, dass die betreffende Person es wert ist, sich mit ihr zu beschäftigen.


 

Meine homöopathische Arbeit ist bis zu diesem Punkt gekommen, dass ich jedem Patienten ein Kalium-Salz zuordne unter Würdigung seiner Biografie, aber auch ein Natrium-Salz in zweiter Linie, denn wie manch anderer Kollege bin auch ich der Auffassung, dass jeder Patient die Vorgaben dazu mitbringt; hier aber sehe ich aber mehr eine grundlegende genetische, allgemeingültige Veranlagung. Das Wesen der Natrium-Salze ist eher eine Abgrenzung gegen das Umfeld, ein Rückzug in das Private, eine Schutzmauer um eine empfindliche, an Gefühlen reiche Seele. Und hier kommt mir ein Satz des schon erwähnten Irvin D. Yalom gerade recht (aus seinem Buch Die Liebe und ihr Henker):


 

Die existentielle Isolation, eine … Grundtatsache des Lebens, … bezieht sich auf die unüberbrückbare Kluft zwischen dem Ich und den anderen, eine Kluft, die auch in intensivsten zwischenmenschlichen Beziehungen nicht zu überwinden ist.


Die existentielle Isolation, eine … Grundtatsache des Lebens, … bezieht sich auf die unüberbrückbare Kluft zwischen dem Ich und den anderen, eine Kluft, die auch in intensivsten zwischenmenschlichen Beziehungen nicht zu überwinden ist.

Bleibt als Resümee: Der Mensch als lebender Organismus ist keine Maschine, sondern ein vielschichtiges Wesen mit vielen Einflüssen, die seine Existenz prägen. Ihn nur anhand von Laborwerten oder anderen technischen Befunden zu beurteilen und zu behandeln, wird ihm kaum gerecht, wenn es darum geht, langfristig Gesundheit herzustellen. Die Sicht und der Erfahrungsschatz der Homöopathie mit ihren Mitteln der Einflussnahme sind genial, nicht leicht zu handhaben, aber allemal wert, nicht abgeurteilt, sondern als Bestandteil einer guten Heilkunde in unserem Medizinsystem besser integriert zu werden.

Bamberg, im Mai 2022

 

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